Von wirtschaftsstrafrechtlichen Ermittlungen sind seit einigen Jahren vermehrt auch Unternehmen betroffen. Zwar sind in den vergangenen Jahren erst wenige Verurteilungen von Unternehmen, sogenannten „Verbänden“, nach dem im Jahr 2006 in Kraft getretenen Verbandsverantwortlichkeitsgesetz (VbVG) erfolgt (im Jahre 2019 elf und im Jahre 2020 zehn Verurteilungen). Jedoch kann bereits eine drohende strafrechtliche Verantwortlichkeit, die in häufig jahrelangen Ermittlungsverfahren geprüft wird und eine beträchtliche Geldbuße zur Folge haben kann, für ein Unternehmen äußerst unangenehm sein. Im Folgenden wird aufgezeigt, wann Unternehmen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, und dies anhand einfacher Praxisbeispiele veranschaulicht.
Wann ist das VbVG anwendbar?
Voraussetzungen für die Anwendung des VbVG sind, dass es sich um einen Verband im Sinne dieses Gesetzes handelt und ein Konnex der strafbaren Handlung zum Verband vorliegt. Verbände nach dem VbVG sind insbesondere Kapital- und Personengesellschaften. Auch unter das VbVG fallen Vereine oder juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Kammern oder Gebietskörperschaften, sofern diese nicht hoheitlich tätig sind. Verbandsverantwortlichkeit können nur gerichtlich strafbare Handlungen nach dem Strafgesetzbuch (StGB) oder Nebenstrafgesetzen oder Finanzvergehen begründen (eine Verbandsverantwortlichkeit für Verwaltungsstrafdelikte besteht folglich nicht). Ein Konnex der Straftat zum Verband besteht unter folgenden Bedingungen:
- die strafbare Handlung wurde von einem Entscheidungsträger[1] (zB Vorstand oder Geschäftsführer) oder Mitarbeiter begangen und
- der Verband wurde dadurch begünstigt oder es wurden Pflichten verletzt, die den Verband treffen, wodurch die strafbare Handlung ermöglicht wurde.
Für die Zurechnung strafbaren Handelns eines Entscheidungsträgers ist es erforderlich, dass dessen Handlung nicht nur einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt, sondern darüber hinaus auch kein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund nach dem StGB vorliegt. Hingegen genügt für die Zurechnung des Handelns eines Mitarbeiters bereits tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Handeln. Eine Zurechnung zum Verband wäre also beispielsweise auch dann möglich, wenn der betroffene Mitarbeiter zum Tatzeitpunkt zurechnungsunfähig war und daher kein schuldhaftes Handeln festgestellt werden kann oder aber in einer entschuldigenden Notstandssituation gehandelt hat. Voraussetzung für eine Zurechnung wäre in diesen Fällen allerdings eine dem Verband anzulastende Verletzung von Pflichten, durch welche das tatbestandsmäßige Handeln des Mitarbeiters ermöglicht oder erleichtert wurde.
Beispiele für strafbare Handlungen, durch die der Verband begünstigt wurde
Bei strafbaren Handlungen, durch die der Verband begünstigt wurde, ist in erster Linie an Vermögensdelikte eines Entscheidungsträgers zu Gunsten des Verbandes zu denken. Folgende plakative Beispiele dienen dazu, dies besser zu veranschaulichen:
- der Geschäftsführer einer GmbH verkauft Waren geringen Werts überteuert an Kunden des Unternehmens – wenn die Kunden über Wert und Eigenschaften der Waren getäuscht werden, ist die Verwirklichung des Tatbestands des Betrugs angezeigt.
- der Vorstand der Gesellschaft A leiht sich elektronische Geräte der Gesellschaft B, stellt diese allerdings nicht zum vereinbarten Rückstellungsdatum zurück, sondern behält diese für das Unternehmen A – in diesem Fall wurde der Tatbestand der Veruntreuung verwirklicht.
- Eine Gesellschaft hat von einem Geschäftspartner irrtümlich zu viel Geld überwiesen erhalten. Der Geschäftsführer entscheidet sich dazu, den zu Unrecht erhaltenen Betrag nicht zurückzuüberweisen, sondern für die Gesellschaft zu verwenden – hier liegt ein Fall der Unterschlagung vor.
Zwecks Gegenüberstellung werden nun auch einige Beispiele dargelegt, in denen eine Verbandsverantwortlichkeit nicht in Betracht kommt:
- Der Geschäftsführer einer GmbH begleicht überhöhte Rechnungen oder Scheinrechnungen eines Geschäftspartners – hier wurde das Unternehmen nicht begünstigt, sondern geschädigt. Es besteht daher ein Verdacht der Untreue zulasten des Unternehmens, der keine Verbandsverantwortlichkeit begründen kann.
- Der Vorstand einer AG vergibt illegal Rabatte an ihm nahestehende Geschäftspartner – auch hier besteht der Verdacht der Schädigung des Unternehmens durch Untreue und ist daher eine Verbandsverantwortlichkeit ausgeschlossen.
Beispiele für strafbare Handlungen, durch die Pflichten verletzt wurden, die den Verband treffen
Strafbare Handlungen, durch welche Pflichten verletzt wurden, die den Verband treffen, sind häufig Fahrlässigkeitsdelikte wie etwa eine fahrlässige Körperverletzung oder fahrlässige Tötung. Die missachteten Pflichten können sich aus der gesamten Rechtsordnung ergeben. Besonders relevant sind in der Praxis die Verletzung von Bestimmungen des Arbeitsschutz- oder Arbeitszeitgesetzes. Von aktueller Bedeutung sind auch jene Fälle, in denen der Dienstgeber seine Verpflichtung zum Schutz von Arbeitnehmenden in Bezug auf Tatbestände der sexuellen Belästigung, deren Strafbarkeit sich in den letzten Jahren deutlich verschärft hat, nicht wahrnimmt.
Voraussetzung für eine Verbandsverantwortlichkeit in einem solchen Fall ist die Feststellung eines Organisationsverschuldens innerhalb des Verbandes. Derartige Fälle der Verbandsverantwortlichkeit könnten beispielsweise in folgenden Szenarien vorliegen:
- In einer GmbH, in der gesundheitsgefährdende Stoffe erzeugt werden, wird nicht ausreichend auf Schutzkleidung und Schutzvorrichtungen geachtet, wodurch ein Mitarbeiter eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Hier ist der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung (durch Unterlassung) indiziert. Selbst wenn nicht festgestellt werden kann, in wessen Kompetenz die Prävention derartiger Schädigungen liegt, ist es für eine Verbandsverantwortlichkeit ausreichend, wenn ein Organisationsverschulden innerhalb des Unternehmens vorliegt.
- Die Mitarbeiter eines Transportunternehmens werden entgegen den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes dazu gezwungen, regelmäßig Überstunden zu verrichten. Aufgrund akuter Übermüdung überfährt Mitarbeiter A seinen Kollegen B. Hier kann eine der Gesellschaft zuzurechnende fahrlässige Tötung vorliegen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Missachtung des Arbeitszeitgesetzes mitursächlich für den Unfall war.
Hingegen kommt eine Zurechnung zum Verband beispielsweise in folgendem Fall nicht in Betracht:
- Zwischen zwei Mitarbeitern eines Unternehmens kommt es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bei welcher einer der Mitarbeiter verletzt wird. Hier ist kein Organisationsverschulden des Verbandes indiziert und liegt somit kein Anknüpfungspunkt für das VbVG vor.
Verlauf des Verfahrens
Sofern die Staatsanwaltschaft im Sinne der obigen Ausführungen von einer Verbandsverantwortlichkeit ausgeht, wird neben den beschuldigten natürlichen Personen auch der Verband angeklagt. Im Rahmen der Hauptverhandlung hat das Gericht dann einerseits über die Strafbarkeit der natürlichen Personen und andererseits über die Verantwortlichkeit des Verbandes zu entscheiden. Dabei wird zunächst über die Strafbarkeit der natürlichen Personen entschieden. Im Falle eines Schuldspruchs wird die Hauptverhandlung gegen den Verband fortgesetzt und dann über die Verantwortlichkeit des Verbandes entschieden. In den meisten Fällen der Verbandsverantwortlichkeit liegt zugleich auch eine Strafbarkeit eines Entscheidungsträgers oder Mitarbeiters vor.
Denkbar ist allerdings auch der Fall, dass das Hauptverfahren mit dem Freispruch der angeklagten Individualperson bzw. Personen endet und dennoch gegen den Verband fortgeführt wird. Dies ist beispielsweise dann möglich, wenn eine Verbandsverantwortlichkeit wegen Organisationsverschuldens in der Hauptverhandlung festgestellt werden konnte, allerdings keine Zurechnung dieses Verschuldens zu einem konkreten Entscheidungsträger möglich war. In diesem Fall bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung des Anklägers, dass über den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße in einem selbstständigen Verfahren entschieden werden soll.
Sanktionierung des Verbandes
Sofern ein Verband seitens des Gerichts verurteilt wird, wird diesem die Zahlung einer sogenannten Verbandsgeldbuße auferlegt. Ausschlaggebend für die Bemessung dieser Geldbuße ist die für das jeweilige Delikt angedrohte Freiheitsstrafe sowie die im konkreten Fall eingetretene Intensität der Schädigung/Gefährdung bzw. die Höhe des erlangten Vorteils. Relevant für die Bemessung der Höhe der Geldbuße sind weiters die Bilanzgewinne des Verbands in den letzten Wirtschaftsjahren.
Bei der Bemessung der Verbandsgeldbuße mildernd zu berücksichtigen ist insbesondere das Nachtatverhalten innerhalb des Verbands, also beispielsweise die Gutmachung der Tatfolgen oder die Setzung wesentlicher Schritte zur künftigen Verhinderung ähnlicher Taten.
Weiters ist unter bestimmten Umständen auch eine (teil)bedingte Nachsicht der Geldbuße möglich, wenn das Gericht von keiner künftigen Strafbarkeit des Verbands ausgeht. Sofern es in der Folge zu keiner Straffälligkeit des Verbandes innerhalb der Probezeit kommt, ist die Buße bzw. der bedingt nachgesehene Teil nach Ablauf der Probezeit endgültig nachzusehen und muss daher nicht vom Verband geleistet werden.
Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass auch ein Verfahren gegen einen Verband im Ermittlungs- oder Hauptverhandlungsstadium diversionell erledigt werden kann, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen. Dies ist, wie auch bei diversionellen Erledigungen gegen Individualpersonen, insbesondere bei Fällen leichter oder mittelschwerer Kriminalität, wenn der Verband bislang nicht strafrechtlich belangt wurde, denkbar. Bei einer diversionellen Erledigung erfolgt eine Einstellung des Verfahrens gegen Erbringung einer Leistung durch den Verband. Bei dieser Leistung handelt es sich meist um eine Geldbuße, welche allerdings deutlich geringer als eine Verbandsgeldbuße im Falle der Verurteilung ausfällt. Denkbar wäre weiters eine diversionelle Erledigung, bei welcher dem Verband durch Weisungen bestimmte technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten aufgetragen werden.
Bei Fragen steht Ihnen das KWR Wirtschaftsstrafrechtsteam gerne zur Verfügung.
[1] Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Blogbeitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.