Das Bundesministerium für Justiz hat vor kurzem ein Rundschreiben[1] veröffentlicht, in welchem der Schwerpunkt auf eine nachhaltige öffentliche Auftragsvergabe bei besonderer Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte hervorgehoben wird. So sollen soziale Aspekte in Vergabeverfahren künftig stärker berücksichtigt werden.
Zur Erreichung dieser Zielvorgaben bietet die bestehende Rechtslage bereits vielfältige Möglichkeiten. Das BVergG 2018 sieht für Auftraggeber im Vergabeverfahren ein weites Spektrum vor, um auf soziale Anliegen Bedacht nehmen zu können; etwa auf die Beschäftigung von Frauen, von Personen im Ausbildungsverhältnis, von Langzeitarbeitslosen, Menschen mit Behinderung und von älteren Arbeitnehmern. Auftraggeber können daher bereits jetzt in vielfacher Weise auf soziale Aspekte in der Beschaffung Rücksicht nehmen.
Dabei normiert die geltende Rechtslage auch einige Verpflichtungen zur Berücksichtigung derartiger Aspekte (zB Verpflichtung zur Einhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen) und räumt dem Auftraggeber an anderer Stelle aber auch zusätzliche Gestaltungsmöglichkeiten (zB allgemeiner Grundsatz, dass auf soziale Aspekte Rücksicht genommen werden kann) ein. In diesem Zusammenhang dürfen jedoch die (auch unionsrechtlich) festgeschriebenen allgemeinen Grundsätze der Vergabe, wie etwa der Grundsatz der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung oder der Transparenz nicht außer Acht gelassen werden. Die sozialen Aspekte dürfen in keinem Spannungsverhältnis zu diesen Grundsätzen stehen.
Wichtig ist bei der Berücksichtigung sozialer Aspekte im Rahmen einer Beschaffung, dass diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen müssen. Alle Anforderungen und Kriterien müssen sohin auf die nachgefragte Leistung Bezug nehmen; auf den Unternehmer, der die Leistung anbietet, dürfen diese hingegen nicht abstellen.
Der Auftraggeber hat insbesondere im Hinblick auf die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes einen weiten Gestaltungsspielraum und kann hier soziale Aspekte einfließen lassen. Eingeschränkt wird er hier lediglich durch die unionsrechtlichen Vergabegrundsätze sowie die Grundsätze betreffend die Leistungsbeschreibung. Ein Auftraggeber kann daher auch „hohe“ und sachlich gerechtfertigte qualitative Anforderungen an die zu beschaffende Leistung stellen. Dadurch wird es dem Auftraggeber ermöglicht, die zu vergebende Leistung nach sozialen Überlegungen auszugestalten. Beispielsweise kann eine benötigte Leistung von vornherein so definiert werden, dass sie auf Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen Rücksicht nimmt oder die spezifische Situation von einzelnen Bevölkerungsgruppen wie Frauen oder älteren Personen berücksichtigt.
So haben Auftraggeber die Möglichkeit, sich dafür zu entscheiden, die Teilnahme am Vergabeverfahren auf geschützte Werkstätten, integrative Betriebe oder sonstige Unternehmer, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderung oder von sonstigen benachteiligten Personen ist, einzuschränken. Zudem ist es zulässig festzulegen, dass die Erbringung von Aufträgen im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen zu erfolgen hat. Ähnlich verhält es sich mit partizipatorischen Organisationen. Auftraggeber können bei der Vergabe von in Anhang XVII aufgelisteten Dienstleistungen den Teilnehmerkreis auf partizipatorische Organisationen einschränken.
Neben Einschränkungen an den Bieterkreis selbst können soziale Aspekte auch in Vergabeverfahren berücksichtigt werden, die allen Bietern offen stehen. Insbesondere ist dies im Hinblick auf die Ausgestaltung des Beschaffungsgegenstandes möglich. Die Anforderungen, die der Auftraggeber an den Beschaffungsgegenstand stellt, sind von ihm in technische Spezifikationen zu übertragen. Hierbei können soziale Merkmale an die Leistung gestellt werden, was auch an mehreren Stellen des BVergG 2018 ausdrücklich festgehalten wird. Diese sozialen Merkmale müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und verhältnismäßig sein. Sie müssen sich aber nicht auf den materiellen Bestandteil der Leistung beziehen. Vielmehr können sie auch den spezifischen Prozess oder die Methode zur Produktion bzw die Erbringung (Transport und Handel) betreffen oder sich auf bestimmte Lebenszyklus-Stadien (Nutzung und Wartung) beziehen.
Als Nachweis dafür, dass die Leistung bestimmten sozialen Merkmalen entspricht, können entsprechende Gütezeichen in den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien oder in den Bedingungen für die Ausführung des Auftrags verlangt werden. Das stellt eine sowohl für den Auftraggeber als auch für den Bieter einfache Möglichkeit dar, soziale Aspekte zu berücksichtigen. Der Auftraggeber hat auch an dieser Stelle darauf zu achten, dass die Anforderungen für den Erwerb des Gütezeichens einen Bezug zum Auftragsgegenstand aufweisen.
Soziale Aspekte können sohin auch bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien berücksichtigt werden. Welche sozialen Aspekte in einem Vergabeverfahren, in welchem Stadium der Beschaffung bzw auf welche Art Berücksichtigung finden sollen, obliegt daher in vielen Bereichen dem Auftraggeber und wird diesem an vielen Stellen ein breiter Gestaltungsspielraum geboten.
Anmerkungen
Das Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz zum Thema „Gesetzliche Verpflichtungen und Möglichkeiten zur Berücksichtigung sozialer Aspekte im Vergabeverfahren“ zeigt ausführlich auf, welche sozialen Aspekte bereits durch die geltende Rechtslage im Beschaffungsprozess berücksichtigt werden können (und müssen).
Insbesondere im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich gibt es im BVergG 2018 zahlreiche Bestimmungen, die verpflichtend zu beachten sind (so auch die verpflichtende Prüfung, dass Bewerber und Bieter Sozialversicherungsbeiträge und Steuern entrichtet haben, einschließlich der Einholung einer Auskunft hinsichtlich Lohn- und Sozialdumping). Auch die Barrierefreiheit bei der Beschaffung bestimmter Leistungen ist im geltenden Vergaberecht bereits umfassend geregelt.
Im Hinblick auf weitere soziale Aspekte, wie im Beschäftigungsbereich (etwa die Beschäftigung von Frauen oder Personen im Ausbildungsverhältnis) und den Beschaffungsgegenstand betreffend (Produktion, Handel, Transport) kommen dem Auftraggeber umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten zu. Eine Pflicht, soziale Aspekte auch in diesen Bereichen zu berücksichtigen, besteht jedoch nicht. Vielmehr steht es dem Auftraggeber frei, diese Aspekte im Rahmen von Eignungs- oder Zuschlagskriterien vorzusehen.
Neben den sozialen Aspekten ist auch das Thema der nachhaltigen Beschaffung, durch den Beschluss des Aktionsplans „Nachhaltige Beschaffung“, stärker in den Fokus gerückt. In beiden Fällen wird verstärkt auf das Best- anstatt des Billigstangebotsprinzips abgestellt. Künftig werden wohl sowohl die nachhaltige Beschaffung als auch soziale Aspekte im Vergabeverfahren eine größere Rolle spielen und verstärkt im Beschaffungsprozess Berücksichtigung finden.
Die rechtliche Grundlage hierfür ist im BVergG 2018 bereits gegeben, welches an vielen Stellen die Berücksichtigung sozialer Aspekte ermöglich oder auch verlangt. Auch die nachhaltige Beschaffung wird künftig durch den beschlossenen Aktionsplan mehr Bedeutung in der Vergabe erlangen.
Ob das Aufzeigen bzw die Schaffung rechtlicher Möglichkeiten ausreicht, um soziale und nachhaltige Aspekte stärker zu etablieren, wird sich zeigen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Leistungsbeschaffung auch weiterhin einem hohen Kostendruck unterliegt. Fraglich ist, ob es nicht zusätzliche Anreize bedarf, um die Beschaffung künftig sowohl sozialer als auch nachhaltiger zu gestalten.
Bei Fragen steht Ihnen unser Vergaberechtsteam sehr gern zur Verfügung!
Katharina Trettnak-Hahnl, Mats Schröder und Claudia Knoll
[1] Rundschreiben des BMJ vom 24.6.2021 (2020-0.587.109).