In der medialen Berichterstattung zu großen clamorosen Wirtschaftsstrafverfahren ist häufig die Rede von sogenannten Kronzeugen[1], die insbesondere durch Belastung von Mitbeschuldigten an der Aufklärung von Straftaten mitwirken und dadurch selbst einer Strafverfolgung entgehen können. Jedoch bleibt auf Grundlage dieser Berichterstattung meist unklar, wie jemand nach der österreichischen Strafprozessordnung überhaupt Kronzeugenstatus erlangen kann. In diesem Beitrag wird auf einfache Weise erklärt, bei welchen Straftaten ein Kronzeugenstatus in Betracht kommt, wie umfangreich die Mitwirkung des Kronzeugen am Strafverfahren sein muss, welche Privilegien mit dem Kronzeugenstatus verbunden sind, und was zu dessen Verlust führen kann.
Vereinfacht gesagt stellt eine Kronzeugenregelung, geregelt in § 209a StPO unter der Überschrift „Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft“, eine Win-Win-Situation für den Kronzeugen und die Strafverfolgungsbehörden dar. Im Gegenzug dafür, dass der Kronzeuge den Behörden sein Wissen über Straftaten anderer offenbart und dadurch Zugeständnisse hinsichtlich seiner eigenen Verfolgung oder Bestrafung erhält, gelangt die Strafverfolgungsbehörde an Informationen, die sie - insbesondere bei häufig bestehendem Beweisnotstand bei der Aufklärung von schweren Wirtschaftsstrafdelikten - ohne dessen Kooperation nicht oder nur schwer erlangen würde.
Allerdings ist es nicht in jedem Strafprozess möglich, Kronzeugenstatus zu erlangen. Voraussetzung ist vielmehr zunächst, dass es sich bei der zu verfolgenden Straftat um eine solche handelt, die
- entweder in die Zuständigkeit des Landesgerichts als Schöffen- oder Geschworenengericht (dh idR eine Straftat mit einer fünf Jahre übersteigenden Strafdrohung – siehe im Detail § 31 Abs 2 und 3 StPO) fällt (unabhängig davon, welche Staatsanwaltschaft zuständig ist) oder
- in die Zuständigkeit der WKStA (schwerwiegende Wirtschaftsstrafdelikte wie Betrug oder Untreue mit sehr hohen Schadensbeträgen – siehe im Detail § 20a StPO) fällt oder
- die Mitwirkung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung bzw Organisation (§§ 277 ff StGB, wiederum unabhängig von der zuständigen Staatsanwaltschaft) betrifft.
Nur bei diesen ausgewählten schwerwiegenden Straftaten sieht der österreichische Gesetzgeber Vorteile in Bezug auf die eigene Strafverfolgung im Gegenzug zur Informationsübermittlung vor. Kurz erwähnt sei an dieser Stelle auch die gesonderte Kronzeugenregelung für kartellrechtliche Zuwiderhandlungen (§ 209b StPO), auf welche im Folgenden nicht näher eingegangen wird.
Darüber hinaus sind für die Gewährung des Kronzeugenstatus das Ausmaß und der Inhalt der vom potenziellen Kronzeugen zur Verfügung gestellten Information relevant. Zunächst ist erforderlich, dass der potenzielle Kronzeuge ein reumütiges Geständnis über seinen eigenen Tatbeitrag abgibt. Zusätzlich muss er der Strafverfolgungsbehörde freiwillig über seinen eigenen Tatbeitrag hinausgehende Informationen offenlegen. Das offenbarte Wissen muss sich auf neue, dh noch nicht aktenkundige Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet sind, wesentlich zur Aufklärung der ermittlungsgegenständlichen Straftat beizutragen, beziehen. Zu unterscheiden sind daher einerseits die eigene Tat des Kronzeugen (=Kronzeugentat), zu welcher der Kronzeuge das Geständnis ablegt, und andererseits die aufzuklärende Tat (= Aufklärungstat), zu welcher der Kronzeuge neue, noch nicht aktenkundige Informationen liefert. Zur Aufklärungstat darf der potenzielle Kronzeuge noch nicht als Beschuldigter vernommen worden sein und darf diesbezüglich gegen ihn auch sonst kein Zwang durch andere Ermittlungsmaßnahmen (zB Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen, Verhängung von Untersuchungshaft) ausgeübt worden sein. Hingegen steht eine bereits erfolgte Einvernahme oder die Ausübung von Zwangsmitteln im Zusammenhang mit der Kronzeugentat der Zuerkennung des Kronzeugenstatus nicht im Wege.
Häufig ist es vorab – insbesondere zu Beginn eines Ermittlungsverfahrens - schwierig, die Wesentlichkeit der vom potenziellen Kronzeugen kommunizierten neuen Tatsachen oder Beweismittel zu beurteilen. Wie wertvoll der Beitrag für die Aufklärung einer Straftat tatsächlich war, stellt sich meist erst im Nachhinein heraus. Daher ist einem potenziellen Kronzeugen, wenn dieser neue Informationen offenbart, (vorerst) Kronzeugenstatus zu gewähren, sofern die Voraussetzungen hierfür nicht von vornherein ausgeschlossen sind. Das heißt, es muss sich einerseits um eine Straftat handeln, die der Kronzeugenregelung unterliegt, und andererseits der Beitrag den Strafverfolgungsbehörden ex ante als nützlich erscheinen zur umfassenden Aufklärung der ermittlungsgegenständlichen Straftaten. Relevant für die Entscheidung über den Kronzeugenstatus ist darüber hinaus auch das Verhältnis zwischen Art und Ausmaß des Tatbeitrags des Kronzeugen und dem Gewicht des Beitrags der Information zur Aufklärung. Die vom Kronzeugen begangene Tat darf nicht schwerer wiegen als der Wert des Beitrags, den der Kronzeuge zur Aufklärung der Straftat leistet.
Im Falle einer (vorläufigen) Bejahung der Voraussetzungen für die Gewährung des Kronzeugenstatus tritt die Staatsanwaltschaft vorläufig von der Verfolgung zurück, sofern der Kronzeuge eine der in den §§ 200 bis 203 StPO vorgesehenen Leistungen erbringt. Zugleich wird dem Kronzeugen die weitere Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Straftaten aufgetragen. Als im Gegenzug für den (vorläufigen) Verfolgungsrücktritt vom Kronzeugen zu erbringende Leistung kommen
- die Zahlung eines Geldbetrages (dessen Höhe orientiert sich am Gewicht der dem Kronzeugenverfahren zugrunde liegenden Straftat und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Kronzeugen)
- die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder
- die Festlegung einer Probezeit in Verbindung mit Weisungen und Bewährungshilfe
in Betracht. Über Art und Umfang der zu erbringenden Leistung entscheidet die mit dem Ermittlungsverfahren betraute Staatsanwaltschaft.
Selbst wenn der Kronzeuge die ihm auferlegte Leistung erbringt, kann die Staatsanwaltschaft dessen Verfolgung allerdings unter bestimmten Umständen wieder fortsetzen. Ein solcher Grund zur Wiederaufnahme der Verfolgung liegt insbesondere dann vor, wenn der Kronzeuge die eingegangene Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft verletzt oder sich herausstellt, dass die von diesem zur Verfügung gestellten Unterlagen oder Informationen falsch waren (der Kronzeuge darf nicht lügen) oder – in der Nachschau - keinen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung zu liefern vermochten.
Die endgültige Einstellung des Verfahrens gegen den Kronzeugen hat spätestens zu erfolgen, nachdem unter wesentlicher Mithilfe des Kronzeugen der Täter verurteilt wurde und dieses Urteil rechtskräftig geworden ist.
Aus diesen Darlegungen folgt, dass es für einen potenziellen Kronzeugen stets ein Risiko birgt, seinen eigenen Tatbeitrag offenzulegen und den Ermittlungsbehörden Kooperation anzubieten. Denn sofern die Staatsanwaltschaft die von ihm herangetragenen Informationen – entweder gleich nach deren Mitteilung oder aber bei der Entscheidung über eine Fortsetzung der Verfolgung - als nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beurteilt, entfallen auch die Privilegien in Bezug auf die eigene Verfolgung und Bestrafung des Kronzeugen. Allenfalls kann ein Beitrag zur Wahrheitsfindung, der für einen Kronzeugenstatus nicht ausreicht, gemäß § 41a StGB mildernd bei der Strafbemessung berücksichtigt werden. Diese Strafmilderung ist allerdings nur auf Straftaten, die mit einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung in Verbindung stehen, anwendbar, was eigentlich nicht nachvollziehbar ist.
Bei Fragen steht Ihnen das KWR Wirtschaftsstrafrechtsteam gerne zur Verfügung.
[1] Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Blogbeitrag das generische Maskulinum verwendet. Die in diesem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich auf alle Geschlechter.